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Was Irland-Fans über die heimliche Nationalhymne Irlands wissen sollten


Rugby Spieler mit Rugby Ball

Wenn sich Irlands Rugby-Fans mit ihren Drinks und Snacks für den World Cup bereit machen, wundert sich so mancher, dass das irische Rugby Team bei Auswärtsspielen nicht die Nationalhymne singt. Warum ist das so?

Hier eine erste kurze Erklärung. Jetzt könnte man sagen Ireland's Call ist doch nur ein Lied, oder? Vierzeilige Strophe, vierzeiliger Refrain, Tonartwechsel, wieder vierzeiliger Refrain. Schulter an Schulter und so ... keine große Sache. Außer, dass es eben doch eine große Sache ist! Und was für eine! Hier die ganze Geschichte: Einen Monat vor der Fußballweltmeisterschaft 1987 tötet eine IRA-Bombe Lord Justice Maurice Gibson. Von der Explosion betroffen sind auch Nigel Carr, Philip Rainey und David Irwin, die auf dem Rückweg von einem Training vor der Rugby-Weltmeisterschaft in Dublin waren. Nigel Carr hat danach nie wieder Rugby gespielt, was einen Monat später ein Problem ist, denn er war einer der besten Spieler und musste nun seine Karriere wegen einer IRA-Bombe beenden. The Soldier’s Song, die Nationalhymne wird als definitiv nicht mehr passend empfunden, aber was tun?


Warum Irlands Nationalhyme unpassend erscheint

Seit Jahrzehnten gibt es in Irland eine lebhafte Debatte über die Nationalhymne und zahlreiche Aufforderungen an den Premier und den Präsidenten, sie zu ändern. Der Text, mit seinen Bezügen zu Gewehren, Kämpfen und donnernden Kanonen passe einfach nicht mehr in die Zeit und unterlaufe die Friedensbemühungen in Nordirland, lautet die Argumentation. 1987 - zur Eröffnung des Rugby World Cups in Australien und Neuseeland greift man zunächst ratlos auf die irische Ballade Rose of Tralee zurück.


Dann, 1995, gibt die Irish Rugby Football Union (IRFU) ein Lied als Alternative zur Hymne der Republik in Auftrag, um den Spielern und Fans aus Nordirland entgegenzukommen, die tendenziell einen unionistischen Hintergrund haben. Phil Coulter, der in Derry geborene Songwriter von Puppet on a String, einem Song, mit dem Sandie Shaw immerhin barfuß 1967 für die Briten den Eurovision Song Contest gewinnt, sagt über Ireland's Call: "Man möchte, dass der Song den Norden und den Süden mit einbezieht, aber man möchte das auch nicht auf zu krasse Weise zum Ausdruck bringen. Musikalisch wollte man einen Song, der von den Leuten im Stadion sofort verstanden wird, also darf er nicht zu kompliziert sein. Er sollte zugänglich, mitreißend und wiedererkennbar sein. Das waren die Kriterien, die es zu erfüllen galt. Der knifflige Teil bei einem solchen Song ist der Text. Das war der schwierigste Teil, den ich herausfinden musste. Man will die Botschaft nicht zu offensichtlich rüberbringen. Daher kam die Idee mit den vier stolzen Provinzen Irlands. Das bringt es auf den Punkt, ohne dass es darum geht, dass der Süden sich dem Norden und der Norden sich dem Süden anschließt und wir uns alle die Hände reichen“, sagt Coulter über Ireland’s Call.


Ireland's call - mal reinhören?


Die Hymne, die Irland endlich eint

Im Laufe der Zeit verschmilzt das Lied allmählich mit dem Bewusstsein der Insel. Es reist um die ganze Welt, nimmt an fünf Rugby- und zwei Kricket-Weltmeisterschaften teil. Es wird von den Hockey-Nationalmannschaften der Männer und Frauen sowie von der irischen Rugby-Liga-Mannschaft übernommen. Im Motorsport wurde es vom Team Ireland für die kurzlebige A1-Grand-Prix-Serie verwendet. Tatsache ist – es ist inzwischen mehr als nur ein Rugby-Song. Als die irische Kricketmannschaft bei der Weltmeisterschaft 2007 Pakistan am St. Patrick's Day besiegt, erschüttert sie mit Ireland’s Call die Wände der Umkleidekabine im Sabina Park. Seitdem ist es Tradition, dass sie es nach einem Sieg in der Umkleidekabine singen. Die Hockeyteams hatten in der Vergangenheit Londonderry Air, auch bekannt als Danny Boy, gesungen, wechselten aber im Jahr 2000 ebenfalls zu Ireland's Call. Und sogar Sinn Féin könnte sich dafür erwärmen, die Flagge und Hymne zu ändern, heißt es. In weiser Voraussicht hat Coulter bei Ireland‘s Call auf ein Reiz-Wort wie „vereinigt“ verzichtet. Stattdessen werden vier stolze Provinzen genannt, die „gemeinsam aufrecht stehen, Schulter an Schulter“.


Passiv-aggressives Audio-Waterboarding?

Doch es gab und gibt auch Kritik. „Passiv-aggressives Audio-Waterboarding“, kommentiert die Irish Times die neue „Hymne“. Der Text von Ireland's Call fordere die Iren auf, vor jedem Rugbyspiel „Schulter an Schulter“ aufzustehen; doch viele würden lieber sitzen bleiben, spotten andere. Pat Coogan, einer der führenden irischen Kommentatoren fordert die irische Rugby-Behörde auf Ireland‘s Call sofort abzuschaffen. Die Hälfte der Spieler scheine nicht mitzusingen, oder wenn, dann murmeln sie ohne erkennbare Überzeugung vor sich hin, klagt er. Überhaupt, so Coogan, frage er sich, ob sie den Text überhaupt kennen? Schulter an Schulter stehen sie vielleicht, aber nicht auf den Song, nicht auf Ireland‘s Call. Und verdammt, wer hat dieses Lied überhaupt in den Rugby-Spielplan eingeschleust?


Im Dubliner Aviva Stadion stimmen die Zuschauer mit dem Kehlkopf ab

Coogan zitiert den ehemaligen irischen Nationalspieler Trevor Brennan, der eine Wiederherstellung von Amhran na bhFiann („Soldier‘s Song“) fordert. Die Nationalhymne sei tief in der irischen Gesellschaft verwurzelt. Wenn wir in unseren Inselbeziehungen an einen Punkt gelangt sind, an dem God Save The Queen im Croke Park gesungen und (zu Recht) mit Respekt gehört werden kann, dann sollte Amhran na bhFiann (Soldiers Song) in Twickenham gesungen werden.“ Das Blatt scheint sich jedoch längst mit dem Zeitgeist gewandelt zu haben. Angesichts wachsender Spekulationen über ein vereinigtes Irland, schreibt die Irish Times über Ireland‘s Call, es sei „ein edles Beispiel für die Kompromisse, die ein vereinigtes Irland mit sich bringen würde.“ Im Dubliner Aviva-Stadion würden die Zuschauer mittlerweile mit ihrem Kehlkopf abstimmen, sagt Komponist Coulter.


2007 ist der Durchbruch geschafft. Im Dubliner Croke Park stehen sich Irland und England in einem Rugby-Spiel gegenüber. Ein Stadion mit strammer irisch-republikanischer Geschichte. Respektvolles Schweigen, als God save the Queen ertönt, inbrünstiger Gesang für die irische Nationalhymne Amhrán na bhFiann und dann aus vollen Kehlen: Ireland‘s Call. Ein Jahrzehnt später denken einige Leute „immer noch, dass es ein Stück Scheiße ist“, aber die Geschichte scheine auf seiner Seite zu sein, sagt Coulter. „Es ist das einzige Lied, das die Tatsache anerkennt, dass das irische Rugbyteam die ganze Insel ausmacht, im Norden wie im Süden“, fügt er hinzu. Die irische Rugby-Mannschaft sei eine der wenigen Dinge, die seit über 150 Jahren „in Einheit und Solidarität auf dieser Insel" bestehen.


Das, nicht mehr und nicht weniger, sollten Irland-Fans vielleicht über die heimliche Nationalhymne Irlands wissen.

Millionen Iren werden am 7. Oktober 23, 20 Uhr irischer Zeit, im Spiel Irland gegen Schottland mitfiebern. Also, Daumen drücken und fingers crossed! Wer auch singen möchte, hier ist der Text.

Buch Irland wie es nicht im Reiseführer steht von Lisalina Sagner



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